»Klang« ist ein kulturelles Phänomen. Dabei beinhaltet der Begriff ganz unterschiedliche Bedeutungsebenen, wie der Eintrag im aktuellen Duden-Lexikon zeigt: Klang steht hier erstens für »etwas, was akustisch in reiner, dem Ohr wohlgefälliger Weise wahrgenommen wird und über eine kürzere Zeit hin, aber allmählich schwächer werdend, andauert.« Gemeint ist der »Ton, der durch das harmonische Zusammenklingen meist heller, reiner Töne entsteht«; zweitens steht Klang für die »bestimmte Eigenheit der Töne einer Stimme, eines Instrumentes o.ä.«; und drittens für eine »Folge harmonisch aneinandergereihter Töne, die eine Melodie ergeben; Musik« (Duden 2014). Wenngleich in diesen Erläuterungen bei weitem nicht das gesamte Bedeutungsspektrum von Klang vermittelt wird, ist dennoch herauszulesen, was den Grundcharakter von Klang ausmacht: Klang ist ein akustisches »Dazwischen«. Er ist der Kontakt, der zwischen einem klingenden Objekt und einem wahrnehmenden Subjekt entsteht. Diesem Dazwischen nähert sich das Forschungsprojekt aus verschiedenen Blickwinkeln an.
Die Schwierigkeiten, die eine nachhaltige Erfassung von Klang mit sich bringt, sind bereits früh erkannt worden. So schreibt der Gelehrte Isidor von Sevilla im 7. Jahrhundert in seinen Etymologiae, dass Klänge vergehen, sollten sie nicht von einem Menschen in Erinnerung gehalten werden, denn sie ließen sich nicht aufschreiben. Isidor benennt damit den grundlegenden Charakter des Klangs: Er ist ephemer und kaum festzuhalten. Im Laufe der Zeit versuchte man auf verschiedene Art und Weise, die Flüchtigkeit des Klangs zu überwinden, und erprobte diverse Möglichkeiten der Übertragung des Klangs in beständige Medien. Doch auch ein Zeichensystem wie beispielsweise die Notenschrift hat nur einen begrenzten Beschreibungsraum, da sich nur ein Ton notieren lässt. Dem Klang selbst, der von einer Reihe von Aspekten wie dem Klangkörper und der Intensität beeinflusst wird, kann man sich lediglich durch auf Definitionen basierende Beschreibungen annähern. Dennoch blieb beispielsweise die Notenschrift lange die einzige Möglichkeit, musikalische Bewegungen abzubilden, wenngleich Töne auch hier nur beschrieben werden konnten.
Eine weitere Möglichkeit der Vermittlung von Klang ist das Bild. Die Darstellung eines Musikinstruments etwa kann als Symbol für Klang gelesen werden, doch die ikonologisch verschlüsselten Informationen sind wiederum unvollständig, nun fehlen der Ton, die Dauer, die Melodie. Auch werden nicht-musische Klänge nur selten dargestellt, was Fragen nach der Bedeutung von Klang und etwaigen Problemen der Vermittlung desselben im »stummen« Bild aufwirft. Wie auch immer also die Versuche der Übertragung des Ephemeren ins Beständige aussehen, es sind durchweg nur die Abstraktionen der Klänge vorhanden, nicht sie selbst. Die Klänge werden in den schriftlichen oder bildlichen Überlieferungen ersetzt durch mal mehr, mal weniger komplexe kulturelle Codierungen und Übersetzungen.
Mit der Entwicklung von Techniken zur Aufnahme und Wiedergabe wurde die Reproduktion von Klängen möglich, doch erfolgte auch hier zunächst eine Übersetzung des Klangs in andere Formen, allein die Prozesse wurden technisiert und damit automatisiert: Die Rückübersetzung muss nicht mehr von geschulten Leserinnen und Lesern der Aufzeichnungen geleistet werden, denn die Decodierung der im Träger festgehaltenen Beschreibung wird von Hilfsmitteln erledigt. So erlauben beispielsweise digitale Speicher- und Wiedergabemedien oder analoge Hilfsmittel wie der Abnehmer am Tonarm des Plattenspielers den Rezipierenden den Zugriff auf die Klänge einer Aufnahme. Ob durch Niederschrift oder Tonaufnahme: Immer handelt es sich hier um Übersetzungen, in denen der Klang zugleich neu konstruiert wird. Doch ergibt sich gerade aus der technischen Reproduzierbarkeit und später auch der originären Konstruktion eine verstärkte Beachtung von Klängen hinsichtlich ihrer Funktion, Anwendbarkeit und damit auch ihrer Wertigkeit. Dass dem Begriff »Klang« allgemein eine positive Bedeutung beigegeben wird, spiegelt sich auch in der Definition des Dudens wider. Doch bezeichnet der Terminus »Klang« ein breites Spektrum: Klang kann dem Ohr schmeicheln, aber auch Lärm besteht aus Klängen und selbst ein Wohlklang kann sich im Crescendo oder in Dissonanzen mit anderen Klängen in sein Gegenteil verkehren. Darüber hinaus ist die Wahrnehmung und Bewertung von Klängen stark durch kulturelle Muster, Gewohnheiten und Verhaltensformen geprägt. Eine Standardisierung dessen, was Klang transportiert, ist schwer, seine Wahrnehmung ist immer subjektiv. So werden alltägliche, beispielsweise technische Klänge häufig nur als Beiwerk wahrgenommen, während Musik und Sprache für gewöhnlich eine andere Bedeutung beigemessen wird. Dabei sind insbesondere die alltäglichen Lebensbereiche von technischen und klanggestalteten Dingwelten geprägt, die sich kaum mehr als Nebensache bezeichnen lassen.
Klänge sind ständig präsente Bestandteile der vergangenen wie gegenwärtigen Lebenswelt und dringen auf sehr unterschiedlichen Ebenen – alltagskulturell, künstlerisch, musikalisch – in die verschiedensten Lebensbereiche ein. Ihre Allgegenwärtigkeit zeichnet sich durch ein beständiges In-Kontakt-Treten und Kommunizieren zwischen dem Klingenden und den Hörenden aus. Unter dieser Perspektive will sich das Forschungsprojekt den Klängen annähern.
Das Projekt läuft seit April 2014. Es wird mit einem interdisziplinären Symposium am 6. und 7.2.2015 im Warburg-Haus, Hamburg, sowie einer gemeinsamen Publikation abgeschlossen.
Forschungsprojekt »Klang – Kontakte«
c/o Institut für Empirische Kulturwissenschaft
Universität Hamburg
Edmund-Siemers-Allee 1 (West)
D-20146 Hamburg
Anna Symanczyk
Klänge und Emotionen – Dinge im Spannungsfeld von klanglicher Datenvermittlung und Emotionalisierung
Daniela Wagner
Die Signifikanz von Klang. Überlegungen zu Klang und Stimme in Bildern
Miriam Wendling
Kultur des Klanges: die Musikgeschichte St. Michelsbergs
Anna Symanczyk, Daniela Wagner, Miriam Wendling (Hg.):
Klang – Kontakte
Kommunikation, Konstruktion und Kultur von Klängen
Berlin, Hamburg: Dietrich Reimer Verlag 2016
Schriftenreihe der Isa Lohmann-Siems Stiftung, 9
240 S. m. 8 Farb- u. 42 s-w-Abb., 17 x 24 cm, gebunden