Denkmäler sind häufig Zeichen der Macht und somit auch immer wieder Orte des Streits. Sie werden errichtet, geschützt, umgedeutet, manche gestürmt oder sogar abgerissen. Es lässt sich eine scheinbar nie enden wollende Dynamik in der Denkmalsgeschichte ausmachen – eine Bewegung zwischen Abriss und Neuerrichtung von Monumenten. Diese Prozesse produzieren notwendig Paradoxien und Widersprüche.
Das Projekt befasst sich mit temporären Verhüllungen öffentlicher Denkmäler im Rahmen von künstlerischen Interventionen, um die nicht widerspruchsfreie Polarität von Pflege und Bewahrung versus Protest und Beseitigung im Medium des Textilen zu verhandeln. Denn schon der gesellschaftliche und politische Umgang mit Denkmälern nutzt Textilien, um sie auratisch aufzuladen oder kritisch zu befragen. Bereits die Geburtsstunde von Denkmälern ist in einen performativen, textilen Akt eingebunden: ihre feierliche Enthüllung. Ikonoklastische Angriffe wiederum, die Kritik üben, äußern sich ebenso häufig textil, etwa in Form von Protestbannern, angebrachten Flaggen oder temporären Verhüllungen.
Solche textilen Handlungen am Monument können als Akt der Auszeichnung von Seiten der Politik veranlasst sein oder sich als aktivistische Kritik einzelner Gruppierungen formulieren; einerseits signalisieren sie Denkmalschutz und andererseits Denkmalskritik. Oft forciert dies öffentliche Debatten über einzelne umstrittene Denkmäler, aber auch über grundsätzliche Fragen der Denkmalpflege und Strategien des Schützens von Kulturgut. Die Semantik des Textilen im gesellschafts-politischen Umgang mit Monumenten trägt also paradoxe Züge. Künstlerische Interventionen greifen diese teils gegensätzlichen Sinnebenen auf und bringen sie vielfach gleichzeitig zur Anschauung: Die Kunstaktionen reflektieren nicht nur wie eine Gesellschaft Monumente schützt, sondern auch inwieweit eine Gesellschaft vor bestimmten Monumenten zu schützen ist. Damit gilt es zu diskutieren, was ein Denkmal überhaupt ist, warum und unter welchen Bedingungen etwas als schützenswert deklariert und als kulturhistorisch relevant eingestuft wird, welche Interessen und Ziele dabei verfolgt werden, warum Streit und Verständigung notwendig sind – und welchen Beitrag die Kunst leisten kann, indem sie kritisch interveniert.
Der Begriff der Nachhaltigkeit hat sich in den letzten 30 Jahren zu einem globalen Leitbegriff gesellschaftlichen Wandels entwickelt. Er ist eng mit Zukunftsfragen verbunden und berücksichtigt vor allem die von der Brundtland-Kommission geprägten ökologischen und ökonomischen Aspekte der Ressourcenschonung. Inzwischen bemüht sich u.a. die UNESCO, den Begriff der Nachhaltigkeit auch auf den Kulturbereich zu übertragen, ohne jedoch auszubuchstabieren, was das für die Kulturarbeit konkret bedeutet.
Eine große Rolle als zentrales Leitprinzip einer zukunftsorientierten und nachhaltigen Kulturpraxis spielt hier das Konzept des Open Knowledge, also das Versprechen einer verbesserten Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Kultur durch digitale Medien. Es dient als zugkräftiges Argument für die Digitalisierungsbemühungen von Erinnerungsinstitutionen wie Archiven und Museen. Denn Wissen scheint heute im Internet überall verfügbar, nur einen Klick entfernt, was im Umkehrschluss für den Kultursektor bedeutet: »If it’s not online and available, it doesn’t exist!« Die bisherigen Erhaltungspraktiken sind jedoch nicht ohne Weiteres auf das Digitale übertragbar. Die Digitalisierung stellt die europäische Erinnerungspraxis vor neue Herausforderungen und wirft Fragen auf, wie digitale Nachhaltigkeit praktisch umgesetzt werden kann.
Vor diesem Hintergrund ist gerade der Kultursektor mit vielfältigen Paradoxien konfrontiert, die es sowohl auf konzeptioneller Ebene als auch in der praktischen Kulturarbeit zu bearbeiten gilt: Einerseits kennt Kulturelles kein Gleichgewicht im ökologischen Sinne. Vielmehr unterliegt Kultur anderen Dynamiken und Prozessen und verhält sich sperrig gegenüber einer allzu einfachen Indienstnahme für nachhaltige Entwicklungen im ökologischen und ökonomischen Sinne.
Andererseits zeigen institutionelle Digitalisierungsprojekte eine zunehmende diachrone Unzugänglichkeit von Kulturerbe und werfen die Frage nach der langfristigen Offenheit und Zugänglichkeit von Kulturdaten auf. Während die Volldigitalisierung vorhandener Bestände angestrebt wird, stellen sich in der Kulturarbeit strukturelle, organisatorische und technische Herausforderungen und Probleme, wie diese digital gespeicherten Daten zukünftig diachron, d.h. im Sinne einer Langzeitarchivierung über den technologischen Wandel hinweg, als offene Kulturdaten auf lange Sicht verfügbar bleiben können.
Ausgehend von den vielschichtigen kulturtheoretischen und -praktischen Paradoxien im Kulturbereich untersucht das ILSS-Teilprojekt unter der Fragestellung der digitalen Nachhaltigkeit, wie Erinnerungsinstitutionen mit dem sozio-technologischen Wandel Schritt halten und ihre Offenheit unter digitalen Vorzeichen langfristig gewährleisten können. Schließlich stellt sich angesichts der rasanten technologischen Entwicklungen und des oft vermeintlich flüchtigen Charakters digitaler Kulturen die übergeordnete Frage, inwieweit die Digitalisierung Nachhaltigkeitsvorstellungen in Bezug auf die Erhaltung und Weitergabe kulturellen Erbes verändert oder den Schutzgedanken von (digitaler) Kultur gar ad absurdum führt.
Als Reaktion auf die industrialisierte Kriegsführung im Ersten Weltkrieg wurden moderne technische Objekte zum Schutz des menschlichen Körpers entwickelt. Neben Stahlhelm, Panzerungen oder Gasmasken sollte auch ein anderer Gegenstand dem Schutz der Soldaten dienen, der allerdings nur aus Papier und Tinte bestand: der Himmelsbrief. Dieses handgeschriebene Amulett behauptete, von Gott persönlich geschrieben worden zu sein und versprach im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit allumfassenden Schutz vor sämtlichen Bedrohungen des Krieges. Dieses Schutzversprechen war an die Einhaltung bestimmter Verhaltensmaßregeln geknüpft, verbunden mit der Androhung grausamer Strafen, falls man diese Vorgaben nicht befolgte. Parallel dazu plädierten auch die christlichen Kirchen für die Einhaltung bestimmter Verhaltens- und Moralkodizes bei der Bewältigung des Kriegsalltags. Ziel des Projekts ist es, das konfliktreiche und widersprüchliche Verhältnis zwischen popular-religiösen Schutzpraktiken und kirchlich legitimiertem Heilsversprechen zu untersuchen.
Die Nutzung von Himmelsbriefen im Kriegskontext macht vielschichtige Paradoxien des Schützens sichtbar – sowohl auf diskursiver Ebene als auch im alltäglichen Leben der Zeitgenoss:innen. Obwohl die christlichen Kirchen den Gebrauch dieses Amuletts als »Aberglauben« diffamierten und obwohl bekannt war, dass viele Soldaten trotz eines Himmelsbriefs verwundet und getötet wurden, hielt sich der Glaube an die Wirkmacht des Amuletts unter deutschen Soldaten und Zivilist:innen beharrlich. Darüber hinaus erhoffte man sich von ähnlichen Handlungen und Objekten einen religiös begründeten Schutz, die im Gegensatz zu den Himmelsbriefen kirchlich legitimiert waren: Viele Soldaten trugen zu ihrer Absicherung Kreuze, kleine Skapuliere sowie Heiligenbilder und -medaillen bei sich.
Die Vorstellungen über die Legitimität religiöser Schutzpraktiken waren jedoch gegensätzlich: Einerseits gingen die Nutzer:innen davon aus, durch Himmelsbriefe persönlichen Schutz für sich und andere direkt von Gott zu erhalten. Deshalb interpretierten sie die Nutzung eines Himmelsbriefs und die Befolgung seiner Regeln als besonders gottesfürchtig und gläubig. Andererseits warnten die Gegner der Himmelsbriefe, insbesondere die evangelische Kirche, vor diesem ›falschen‹ Schutz. Sie stellten das Amulett als gefährlichen (katholischen) Aberglauben dar, der Menschen in Not nicht näher zu Gott, sondern direkt ins Verderben führe. Popularer und institutionalisierter Glaube standen sich rivalisierend gegenüber, waren aber auf symbolischer Ebene doch miteinander verwoben: Beide Strategien der Selbstversicherung beruhten auf einem absoluten Gottes- und Glaubensverständnis und beide Seiten waren überzeugt, dem »richtigen« Glauben anzuhängen. Himmelsbriefe wurden so zum Gegenstand der Aushandlung von Wahrheit und Deutungshoheit.
Dabei stellt sich die Frage, ob und wie im Ersten Weltkrieg ein religiös begründetes Schutzversprechen unter dem Deckmantel der Fürsorge dazu instrumentalisiert wurde, die Bevölkerung im Sinne kirchlicher und staatlicher Institutionen zu kontrollieren und zu disziplinieren.