PROJEKT 2022/23 - KörperZeiten – TEILPROJEKTE

Zeit und Raum des Künstlerkörpers
in »Selbstporträt mit Porträt von Pyotr Konchalovsky« von Ilya Mashkov

Judith Butlers Annahme, dass der Körper sein Geschlecht durch eine Reihe von Akten hervorbringt, die im Laufe der Zeit wiederholt, aktualisiert und bekräftigt werden, wird als Ausgangspunkt genommen, um die visuelle Konstruktion von Männlichkeit(en) in Ilya Mashkovs »Selbstporträt mit Porträt von Pyotr Konchalovsky« zu untersuchen. 1910 präsentierte Mashkov (1881–1944) dem Moskauer Ausstellungspublikum das Doppelporträt mit seinem wenige Jahre älteren Malerfreund Konchalovsky (1876–1956) als gemaltes Manifest für die Künstlergruppe »Karo-Bube« (1910–1917), die sich in der Nachfolge der französischen Avantgarde und insbesondere Paul Cézannes sah. Die beiden Männer sind lediglich in Wrestlingshorts gekleidet und fallen insbesondere durch ihre vom wiederholten sportlichen Training gestählten Körper auf. Die Befragung von Mashkovs Gemälde findet daher vor dem Hintergrund der Popularität von Boxen, Wrestling und Kraftsport im Russland der Jahrhundertwende und bei den europäischen Avantgarden statt.

Die Inszenierung der virilen Künstlerkörper, halbnackt und in Sportkleidung, die in einem häuslichen Interieur eine spezifische Pose eingenommen haben, wirft die Frage auf, wie hier Geschlecht im Bild konstruiert wird beziehungsweise, wie dieses Bild von Männlichkeit mit dem umgebenden Raum korrespondiert. Ähnlich Kraftsportlern auf der Bühne sucht Mashkov den Blick des Publikums und präsentiert den gewölbten Bizeps seines rechten Armes. In seiner Hand hält er jedoch keine Hantel, sondern eine Geige. Das Interieur verweist, so ist sich die Forschung einig, auf einen Raum, den Cézanne in dem Gemälde »Mädchen am Klavier. Tannhäuser-Ouvertüre« (1869/70) für seine Mutter und jüngere Schwester entworfen hatte. Der weiblich konnotierte Innenraum ist zudem mit stilllebenartigen Elementen – einem Klavier zur Rechten der Protagonisten, Blumenbildern über ihren Köpfen und einem Kaffeeservice zu ihrer Linken – ausgestattet. Gebrochen wird diese weiblich markierte, häusliche Atmosphäre durch die muskulösen Künstlerkörper und mehrere Rundhanteln zu ihren Füßen, die auf Krafttraining verweisen. Körperliche Gesundheit und Kraft sowie der Anspruch, den eigenen Körper stetig zu stärken, waren wichtige Maxime für Mashkov.

Um der Verschränkung von Körper, Geschlecht und Zeitlichkeit auf die Spur zu kommen, gilt es zu fragen, wie in Mashkovs Doppelporträt geschlechtskonstituierende Handlungen wie die andauernde körperliche Ertüchtigung und der Moment der Pose aufeinandertreffen. In welchem Verhältnis stehen zudem die inszenierten Künstlerkörper und die sie rahmenden Stilllebenelemente zueinander? Der Beitrag untersucht also die zur Schau gestellte, durch vielfache Wiederholung von Kraftübungen erworbene Hypermaskulinität, die Produktion von Männlichkeit(en) im Bild und die (Selbst-)Inszenierung der Künstlerkörper.

 

Kontakt

koerperzeiten@gmail.com

Forschungsprojekt »KörperZeiten«
der Isa Lohmann-Siems Stiftung 2022/23
c/o Kunstgeschichtliches Seminar/ Institut für Empirische Kulturwissenschaft
Universität Hamburg
Edmund-Siemers-Allee 1 ESA W (Westflügel)
20146 Hamburg