PROJEKT 2021/22 – Widerspruch!? – TEILPROJEKTE

»(Re-)Claiming Space: Formen der Selbstermächtigung in den Werken von Chicanx-Kunstschaffenden am Beispiel der Gruppe Asco«

Als Folge der Grenzverschiebung nach dem US-amerikanisch-mexikanischen Krieg wurden die jenseits der Grenze lebenden Mexikaner:innen 1848 zu US-amerikanischen Staatsbürger:innen gemacht. Während der Chicano-Bürgerrechtsbewegung der 1960er und 1970er Jahre etablierte diese Gruppe eine politische Präsenz in den Vereinigten Staaten, deren Erstarken sich als Reaktion auf jahrzehntelange soziale Unterdrückungs- und Diskriminierungserfahrungen verstehen lässt. Die Selbstbezeichnung Chicano ist dabei bereits als ein Akt der Selbstermächtigung zu begreifen, da es sich um die Aneignung eines ursprünglich pejorativ verwendeten Begriffs handelt.
In geografischer Nähe zu Mexiko, umgeben jedoch von einer weißen, US-amerikanischen Dominanzgesellschaft, erfahren und verkörpern Chicanos bis heute vielfältige kulturelle Spannungen und Widersprüche. So verlieh der Chicanismo zwar einer marginalisierten Gruppe politisches und kulturelles Gewicht, jedoch entstammte er einem patriarchalen Weltbild, welches wiederum die Beteiligung von Chicanas, Afro-Latina/os und LGBTQIA+ Personen unsichtbar machte, einschränkte oder in eine Randposition verwies. Die Entwicklung in jüngerer Zeit vom männlich konnotierten Chicano zum geschlechtsneutralen Chicanx bildet daher eine Diversifizierung des Diskurses um kulturelle Identität ab, welcher diese zuvor marginalisierten Stimmen miteinschließen soll.
Das Künstler:innenkollektiv Asco machte es sich bereits ab 1972 zur Aufgabe, diese Widersprüche innerhalb der eigenen kulturellen Gruppe sichtbar zu machen und künstlerisch zu verhandeln. Anhand der Arbeiten dieser Gruppe untersucht das Teilprojekt, wie Chicanx-Kunstschaffende in den USA Machtverhältnisse und Marginalisierungserfahrungen künstlerisch reflektierten und Strategien der Unterwanderung entwarfen. Die Werke von Asco, die sich häufig in medialen Grenzbereichen bewegen, lassen sich auf vielschichtige Weise als Akte der Entgegensetzung begreifen. Denn sie sind nicht nur als Gegenpositionierungen in Bezug auf Machtgefüge innerhalb einer weißen, US-amerikanischen Dominanzkultur zu verstehen, wie etwa die Arbeit Spray Paint LACMA zeigt, für welche Mitglieder der Gruppe ihre Namen mit Sprühfarbe an der Außenwand des Los Angeles County Museum of Art anbrachten und sich den musealen Raum so mit einer subversiven Geste aneigneten. Mittels einer queeren Camp-Ästhetik und der ironischen Brechung der religiösen Ikonografie, welche die traditionelle Chicano-Wandmalerei auszeichnet, wandten sich die Mitglieder der Gruppe gleichzeitig gegen die ausgeprägten homophoben Tendenzen und den religiösen Konservatismus innerhalb der eigenen Community. Das Teilprojekt rückt ebensolche Strategien der Selbstermächtigung in den Blick und widmet sich Fragen wie: Welche alternativen Räume und Medien nutzten Chicanx-Künstler:innen für ihre Kunstproduktion? Wie unterliefen sie etablierte Hegemonien und widersetzten sich Machtstrukturen aus einer marginalisierten Position heraus?

 

 

Kontakt

ilss2022@protonmail.com

Forschungsprojekt »Widersprüche«
der Isa Lohmann-Siems Stiftung 2021/22
c/o Kunstgeschichtliches Seminar
Universität Hamburg
Edmund-Siemers-Allee 1
20146 Hamburg