PROJEKT 2019/20 - Einverleibungen – TEILPROJEKTE

»FamilienFilmEssen: Zu familiären Nahrungs- und Filmaufnahmen«

Das Projekt FamilienFilmEssen befasst sich mit filmischen Repräsentationen familiärer Ernährungskultur. Es geht dabei von der These aus, dass sich gerade im Genre des Amateurfilms Vorstellungen und Wunschbilder von Familie materialisieren, dass hier also auf eine spezifische Weise die Institution Familie sicht- und reproduzierbar gemacht wird. Ausgehend von der Frage nach dem, »was beim Essen alles mitgegessen wird« (Jeggle 1988), stehen familiäre Versorgungs-, Kommunikations- und Aushandlungsprozesse beim Essen im Mittelpunkt des Forschungsprojekts. Der Esstisch wird dabei als Ort verstanden, an dem mit dem (gemeinsamen) Vorgang der Nahrungsaufnahme nicht nur Essbares einverleibt wird. Geht man davon aus, dass je nach Generation und sozialer Schicht unterschiedliche Vorstellungen von Lebensmodellen, von Geschlechter-, Macht- und Beziehungsstrukturen sowie bildungspolitische Entwicklungen das familiäre Zusammenleben prägen, dann ist danach zu fragen, ob und wie diese Rahmenbedingungen zugleich auf die Vorbereitung, die Inszenierung, den Verzehr und die Nachbereitung von Nahrung einwirken. Das gemeinsame Essen ist zugleich ein Moment der Transformation, der spezifischen Regeln unterliegt und bei dem familiäre Hierarchien, Erziehungskonzepte sowie Wert- und Ordnungsvorstellungen interaktiv produziert und eingeübt werden.

Im Mittelpunkt des Projekts stehen filmische Quellen, die im Hinblick auf die Repräsentation von Essen als Praxis sowie als materielles Objekt befragt werden. Untersucht wird, mit welchen filmischen Mitteln gemeinschaftliche Rituale bei der Vorbereitung und Gestaltung von Mahlzeiten bzw. der Nahrungsaufnahme in Szene gesetzt werden. Darüber hinaus fragt das Projekt danach, welche Strategien von Amateuren eingesetzt werden, um die Materialität und Sinnlichkeit von Essen visuell festzuhalten. Essen und Film sind dabei jeweils als Medien zu verstehen, durch die Zusammengehörigkeit und Abgrenzung ausgehandelt und Familie im doppelten Sinne »aufgenommen« und qua gefilmter Mahlzeit einverleibt wird. Während einerseits Nahrung in Form von Speise-Traditionen, die gemeinsame Zeit bei Tisch oder vererbte Familienrezepte als identitäts- und familienstiftend interpretiert werden können, hält andererseits die Kamera gemeinsame Momente als wichtigen Teil der Familiengeschichte fest und vermittelt auf diese Weise ebenso familiäre Einheit. Zu untersuchen ist, welche Wechselwirkungen sich dabei zwischen diesen Praktiken ergeben. Auch hat sich der familiäre Amateurfilm bedingt durch digitale Aufnahmetechniken bzw. Veröffentlichungspraktiken in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Zu fragen ist daher, ob und wie sich auch familiäres Essen vor der Kamera verändert. Verschiebungen sind etwa hinsichtlich der Räume, der Erziehungs- und Benimmregeln oder der Herkunft und Zubereitungsweise von Lebensmitteln denkbar.

Privater Film und Essen stehen darüber hinaus gleichermaßen für Intimität und Erinnerung. Nahrungsaufnahme wird oftmals als intimer Prozess empfunden – wann kommt die Kamera beim Essen (oder gar beim Naschen oder Schlemmen) zum Einsatz? Welche Strategien des Filmens, Kommentierens, aber auch des Verbergens finden hier Anwendung? In Bezug auf familiäres Erinnern sind mit bestimmten Gerichten, Gerüchen oder Geräuschen Kindheits-Szenen oder die Erinnerung an einzelne Familienmitglieder verbunden. Zu untersuchen sind hier vor allem Hoch-Zeiten wie Geburtstage oder das Weihnachtsfest in der filmischen Repräsentation: Wird das Festessen als Teil des Ereignisses gefilmt, als erinnerungs- und filmwürdig erachtet, und wie werden Alltag und Fest filmisch unterschieden?

 

Kontakt

Einverleibungen@gmail.com

Forschungsprojekt »Einverleibungen«
der Isa Lohmann-Siems Stiftung 2019/20
c/o Kunstgeschichtliches Seminar
Universität Hamburg
Edmund-Siemers-Allee 1
20146 Hamburg