Isa Lohmann-Siems Stiftung

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Vergangene Projekte

Projekt 2021/22

WIDERSPRUCH!? - TEILPROJEKTE -

»Humor als Widerspruch: Das Kolonialdenkmal in den Karikaturen des deutschen Kaiserreichs«

Magdalena Tonia Füllenbach, M.A., Kunstgeschichte

Das deutsche Kaiserreich war seit seiner Gründung 1871 von Widersprüchen und Dichotomien geprägt. Dies zeigte sich unter anderem in der skeptischen bis ablehnenden Haltung zum Kolonialismus bei weiten Teilen der Bevölkerung. Auf die Kritik reagierten die Befürworter der Kolonien mit zahlreichen Denkmalprojekten, denn das Denkmal war im deutschen Kaiserreich ein wichtiges Mittel, um staatliche Huldigungen und Ehrungen im öffentlichen Raum zu verbreiten und nationalistische Narrative durchzusetzen.

Eine solche »Denkmaloffensive« blieb nicht ohne Reaktionen: Es wurden Karikaturen von Denkmälern entworfen, da die Karikatur als wichtiges Medium diente, um öffentlich zu widersprechen und andere politische Positionen zum Ausdruck zu bringen. Stereotypisierungen und Überzeichnungen wurden dabei genutzt, um abweichende Standpunkte zu artikulieren und Reflexionsprozesse beim Publikum anzustoßen. Die Graphiken provozierten unter dem Deckmantel der spielerisch überspitzten Bildsatire und fungierten dabei nicht selten als künstlerische Waffe, welche die herrschende Klasse zuweilen in Bedrängnis brachte. Durch die spezifische Verbindung von Humor und Kritik gelang es der politischen Karikatur, auch im autoritären Herrschaftssystem des deutschen Kaiserreichs Gegenbilder und -narrative zu entwerfen und so als ein politisch brisantes Massenmedium zu fungieren. Unter anderem die Karikaturen von Denkmälern dokumentieren dieses Phänomen.

1894 erschien in der Satirezeitschrift Kladderadatsch im Ressort »Ehre, wem Ehre gebührt« die Karikatur eines imaginären Leistbrunnens. Diese bezog sich auf den Skandal um den ehemaligen Gouverneur von Kamerun, Heinrich Leist. Der Illustrator Gustav Brandt entwarf in seiner Graphik ein Denkmal, welches das hohle Pathos in der Memorialpraxis des deutschen Kolonialismus lächerlich machte und so entlarvte. Am Beispiel dieses fiktiven Denkmalentwurfes fragt das Teilprojekt nach der strategischen Nutzung von Karikaturen als demaskierende Medien des politischen Widerspruchs und nach den Grenzen dieser Darstellungen. Denn selbst diese Kritik am Kolonialismus und seiner Denkmalprojekte griff auf rassistische Stereotypisierungen, Diffamierungen und inhumane Zerrbilder zurück, ohne diese in Frage zu stellen.

»Kein Widerspruch? Walter Hävernick und die Stagnation und Transformation in der Hamburger Volkskunde nach 1945«

Michael Münnich, M.A., Volkskunde/Kulturanthropologie

Die »langen sechziger Jahre« in der Bundesrepublik waren geprägt von sozialen Spannungen, Reformbestrebungen und kollidierenden Wert- und Moralvorstellungen. Nicht nur in gesellschaftlicher und politischer Hinsicht gelten sie als eine Zeit der Um- und Aufbrüche. Auch in der deutschen Wissenschaftslandschaft hatten diese Jahre grundlegende Auswirkungen auf die Entwicklung und Neuausrichtung in vielen Fächern. Dies gilt insbesondere für die Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, die erst in den 1960er Jahren begannen, sich mit ihren Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus, mit problematischen personellen Kontinuitäten und inhaltlichen Widersprüchen auseinanderzusetzen.

Auch in einem kleinen Fach wie der Volkskunde verliefen Aufarbeitung und Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg nicht widerspruchsfrei. Das zeigt das Beispiel Walter Hävernicks (1905-1983), dessen wissenschaftliche Biographie und Arbeitsweise im Mittelpunkt dieses Teilprojekts steht. Als Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte und zugleich Ordinarius am Seminar für Deutsche Altertums- und Volkskunde der Universität Hamburg war Hävernick ein ausgesprochen umtriebiger und innovativer Akteur in dieser für das Fach so prägenden Zeit. Als überzeugter Vertreter einer modernen Großstadtvolkskunde räumte er der empirischen Stadtforschung ebenso wie der konsequenten Gegenwartsanalyse einen festen Platz in der deutschen Nachkriegs-Volkskunde ein. Mit der Verbindung von qualitativen und quantitativen Arbeitsweisen modernisierte er das Methodenrepertoire im Fach. Ebenso zukunftsweisend war der Einsatz modernster Tonaufnahmetechnik, mit der er die Arbeit im Museum revolutionierte und auch in Lehre und Forschung neue Akzente setzte.

Allerdings ist Walter Hävernick weniger aufgrund seiner fachlichen und technischen Innovationen in Erinnerung geblieben. Vielmehr ist sein Name bis heute untrennbar mit seiner 1964 erschienenen Studie »Schläge als Strafe«. Ein Bestandteil der heutigen Familiensitte in volkskundlicher Sicht verknüpft, die seinerzeit auch über die akademischen Kreise hinaus heftige Reaktionen auslöste. Seine darin vertretene Ansicht, dass die körperliche Bestrafung von Kindern und Jugendlichen eine sinnvolle und angemessene Erziehungsmaßnahme sei, stand im klaren Gegensatz zu den Ideen einer modernen Pädagogik. Diese Widersprüche zwischen Modernisierungsbestrebungen und einer autoritär-konservativen Haltung zeigten sich auch in anderen Bereichen seines Schaffens. So lehnte er die in den 1960er Jahren zunehmend geforderte demokratische Mitbestimmung an der Universität vehement ab und verweigerte demonstrativ seine Teilhabe an der Neupositionierung der Disziplin Volkskunde an europäischen Universitäten. Außerdem favorisierte er noch bis in die 1970er Jahre Fachliteratur aus der Zeit des Nationalsozialismus und plädierte für Latein als Wissenschaftssprache.

Ausgehend von Walter Hävernicks wissenschaftlichem Nachlass analysiert das Teilprojekt dieses scheinbar paradoxe Verhältnis zwischen Innovationsbestrebungen und konservativen Überzeugungen. Untersucht werden soll auch, welche Strategien er in seinen Selbstpositionierungen entwickelte, um diese nach außen hin offensichtlichen Widersprüche für sich aufzuheben. Dabei sollen – vermeintliche – Inkompatibilitäten in den Blick genommen und erörtert werden, wie und wo diese sichtbar wurden, welche Reaktionen und Gegenreaktionen sie hervorriefen und wo sie möglicherweise zu konkreten Konflikten führten.

»(Re-)Claiming Space: Formen der Selbstermächtigung in den Werken von Chicanx-Kunstschaffenden am Beispiel der Gruppe Asco«

Johanna Spanke, M.A., Kunstgeschichte

Als Folge der Grenzverschiebung nach dem US-amerikanisch-mexikanischen Krieg wurden die jenseits der Grenze lebenden Mexikaner:innen 1848 zu US-amerikanischen Staatsbürger:innen gemacht. Während der Chicano-Bürgerrechtsbewegung der 1960er und 1970er Jahre etablierte diese Gruppe eine politische Präsenz in den Vereinigten Staaten, deren Erstarken sich als Reaktion auf jahrzehntelange soziale Unterdrückungs- und Diskriminierungserfahrungen verstehen lässt. Die Selbstbezeichnung Chicano ist dabei bereits als ein Akt der Selbstermächtigung zu begreifen, da es sich um die Aneignung eines ursprünglich pejorativ verwendeten Begriffs handelt.
In geografischer Nähe zu Mexiko, umgeben jedoch von einer weißen, US-amerikanischen Dominanzgesellschaft, erfahren und verkörpern Chicanos bis heute vielfältige kulturelle Spannungen und Widersprüche. So verlieh der Chicanismo zwar einer marginalisierten Gruppe politisches und kulturelles Gewicht, jedoch entstammte er einem patriarchalen Weltbild, welches wiederum die Beteiligung von Chicanas, Afro-Latina/os und LGBTQIA+ Personen unsichtbar machte, einschränkte oder in eine Randposition verwies. Die Entwicklung in jüngerer Zeit vom männlich konnotierten Chicano zum geschlechtsneutralen Chicanx bildet daher eine Diversifizierung des Diskurses um kulturelle Identität ab, welcher diese zuvor marginalisierten Stimmen miteinschließen soll.
Das Künstler:innenkollektiv Asco machte es sich bereits ab 1972 zur Aufgabe, diese Widersprüche innerhalb der eigenen kulturellen Gruppe sichtbar zu machen und künstlerisch zu verhandeln. Anhand der Arbeiten dieser Gruppe untersucht das Teilprojekt, wie Chicanx-Kunstschaffende in den USA Machtverhältnisse und Marginalisierungserfahrungen künstlerisch reflektierten und Strategien der Unterwanderung entwarfen. Die Werke von Asco, die sich häufig in medialen Grenzbereichen bewegen, lassen sich auf vielschichtige Weise als Akte der Entgegensetzung begreifen. Denn sie sind nicht nur als Gegenpositionierungen in Bezug auf Machtgefüge innerhalb einer weißen, US-amerikanischen Dominanzkultur zu verstehen, wie etwa die Arbeit Spray Paint LACMA zeigt, für welche Mitglieder der Gruppe ihre Namen mit Sprühfarbe an der Außenwand des Los Angeles County Museum of Art anbrachten und sich den musealen Raum so mit einer subversiven Geste aneigneten. Mittels einer queeren Camp-Ästhetik und der ironischen Brechung der religiösen Ikonografie, welche die traditionelle Chicano-Wandmalerei auszeichnet, wandten sich die Mitglieder der Gruppe gleichzeitig gegen die ausgeprägten homophoben Tendenzen und den religiösen Konservatismus innerhalb der eigenen Community. Das Teilprojekt rückt ebensolche Strategien der Selbstermächtigung in den Blick und widmet sich Fragen wie: Welche alternativen Räume und Medien nutzten Chicanx-Künstler:innen für ihre Kunstproduktion? Wie unterliefen sie etablierte Hegemonien und widersetzten sich Machtstrukturen aus einer marginalisierten Position heraus?