Bekenntnisse fallen heute leicht. Ein kurzer Tastendruck und schon sind Meinungen geteilt, Freundschaften bestätigt und Urteile gefällt. Die sozialen Medien bringen es auf den Punkt: Sich zu bekennen ist ein elementarer Akt sozialer Kommunikation. Das gilt auch diesseits des Digitalen – like it or dislike it.
In seinem Leben legt jeder Mensch gleich mehrfach Bekenntnisse ab. Manche sind persönlich, wie Eheversprechen, manche sind bewusst formell, wie Eide vor Gericht. Einige fallen schwer, wie Geständnisse, und einige dienen der Unterhaltung, wie all die großen und kleinen Lebensbeichten, die in Talkshows und Boulevardmedien inszeniert werden. Bekenntnisse prägen das Leben auf unterschiedlichste Weise. Sie verbinden Privates und Öffentliches und berühren dabei die Sphären von Religion und Politik ebenso wie jene von Gesundheit und Bildung, Partnerschaft und Sexualität. Vielleicht ist es dieser schier unüberschaubaren Vielfalt geschuldet, dass das Bekenntnis bislang kaum zum Gegenstand der interdisziplinären kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung wurde. Dem möchte das aktuelle Forschungsprojekt der Isa Lohmann-Siems Stiftung begegnen, indem es die Formen und Formeln des Bekenntnisses näher in den Blick nimmt. Welche Gestalt können Bekenntnisse annehmen? Müssen sie sich sichtbar oder hörbar manifestieren, um wirksam zu werden? Und gibt es dafür historisch gewachsene, wiedererkennbare Choreographien und Narrative? Wer muss sich eigentlich aus welchen Beweggründen bekennen – und wer darf dies einfordern? Wann und wie werden Bekenntnisse institutionalisiert? Bergen sie individuelle Kommunikations- und Handlungsspielräume? Das Projekt widmet sich diesen Fragen anhand von drei Fallstudien aus den Arbeitsfeldern der Europäischen Kunstgeschichte und Volkskunde/Kulturanthropologie. Im Mittelpunkt stehen dabei die konkreten Poetiken, Praktiken und Materialisierungen des Bekennens.
Um die Teilprojekte zu perspektivieren, teilen sie gemeinsame Arbeitshypothesen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass das Bekennen eine kulturelle Technik ist, die in verschiedenen historischen und sozialen Kontexten Sinn, Identität und Ordnung stiftet. Bekenntnisse sind ein Ausdruck geteilter Normen, Annahmen und Geschichte(n) – oder die Abkehr von ihnen. Sie dienen der Selbstvergewisserung, indem sie Grenzen setzen und aus Einzelnen Kollektive formen. So ist der Akt des Bekennens eine Form der Inkorporierung, der neue Realitäten schafft. Deshalb beinhalten und gestalten Bekenntnisse oft Situationen bzw. Erfahrungen des Übergangs, der Veränderung oder Instabilität. Um evident zu werden, bedürfen Bekenntnisse der Gestaltung, sie manifestieren sich meist durch bestimmte Rituale und Medien. So erhalten sie Präsenz und werden erfahrbar. Die dabei verwendeten Medien, wie etwa Sprache, Schrift, Bild oder Architektur, gestalten ihrerseits das Bekenntnis und fungieren als dessen Resonanzkörper.
Um diese Annahmen zu überprüfen, schlägt das Jahresprojekt einen historischen Bogen von der Spätantike über das 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. In drei exemplarischen Fallstudien wird das Bekennen als eine zentrale und zugleich sehr wandlungsfähige kulturelle Praxis untersucht. Ziel ist es, im Zusammenspiel von Theorie und Empirie die Erscheinungsformen des Bekennens zu konzeptualisieren und für einen interdisziplinären Dialog zu öffnen.
In 2018 findet im Hamburger Warburg-Haus eine interdisziplinäre Tagung zum Thema »Bekenntnisse: Formen und Formeln« statt, zu der Interessierte herzlich eingeladen sind! Die Publikation der Tagungsbeiträge schließt das Forschungsprojekt ab.
Forschungsprojekt »Bekenntnisse«
c/o
Institut für Empirische Kulturwissenschaft
Universität Hamburg
Edmund-Siemers-Allee 1 (West)
20146 Hamburg
Christine Bischoff, Volkskunde/Kulturanthropologie
Konversion als Bekenntnis: zur Bedeutung und Ausgestaltung von Religionswechseln (Arbeitstitel)
Carsten Juwig, Europäische Kunstgeschichte
Bildakt Bekenntnis. Die Ästhetik frühchristlicher Taufrituale
Lena Sommer, Europäische Kunstgeschichte
Memento-Särglein und die Bußgesinnung als Bekenntnispraktik in der katholischen Barockfrömmigkeit (Arbeitstitel)
Christine Bischoff, Carsten Juwig, Lena Sommer (Hg.):
Bekenntnisse
Formen und Formeln
Dietrich Reimer Verlag 2019
Schriftenreihe der Isa Lohmann-Siems Stiftung, Band 12
248 S. m. 8 Farb- und 36 s-w-Abb., 17 x 24 cm, gebunden