Wege verbinden Orte. Sie entstehen dann, wenn Menschen, Tiere und Dinge – und mit ihnen Wissen, ethische und ästhetische Werte – sich von hier nach dort bewegen. Als Produkt dieser Bewegungen sind sie stets in Wechselwirkung mit ihrer natürlichen und kulturellen Umgebung: Wege formen ihrerseits durch Gestalt (z.B. Schleichwege, Trampelpfade oder Schnellstraßen) und Materialität (z.B. unbefestigt oder gepflastert) die ablaufenden Bewegungen mit. Dabei bringen sie soziale Figuren hervor wie etwa Pilgernde oder Wandernde und prägen auf diese Weise die Akteure, die auf ihnen unterwegs sind. Obschon ein einmal etablierter Weg ein stabiles Element eines Raumes darstellt, ist für seine Existenz eine stete Nutzung notwendig. Dabei ist es gleich, ob die Bewegung als sinnlich wahrnehmbare, imaginierte oder auch metaphorische charakterisiert werden kann. Schließlich spricht man etwa von der Milchstraße, um ein rotierendes Sonnensystem zu bezeichnen, oder vom Irrweg dort, wo nicht zielführend agiert wird. Wege können eine Verbindung zwischen zwei Orten verfestigen, eine andere vernachlässigen und regeln damit auch, was als Umweg oder nicht gangbar gilt. Als wesentlicher Bestandteil der Infrastruktur ermöglichen sie nicht nur Verbindung, Vernetzung, Austausch; gerade dort, wo der Zugang zu lokalen und globalen Wegenetzen versagt bleibt, werden auch deren Kehrseiten greifbar, wie Begrenzung und Ausschluss.
Wege sind also – so eine These des aktuellen Forschungsprojektes der Isa Lohmann-Siems Stiftung – in vielerlei Hinsicht produktiv und tragen als selbstständige Räume zu ihrer eigenen Stabilisierung bei. Im Zentrum des Vorhabens stehen neben Wegen daher auch die sie hervorbringenden Praktiken des Unterwegsseins. An der Schnittstelle von Archäologie, Kunstgeschichte und Volkskunde/Kulturanthropologie angesiedelt, betrachtet das Projekt Weg als gestaltendes Element. Ausgehend von den Teilprojekten in unterschiedlichen zeit- räumlichen Settings soll der Frage nach dem Verhältnis von Materialität, Gestalt und Funktion von Wegen nachgegangen werden: Inwieweit visualisiert und materialisiert ein Weg die Bewegung, aus der er hervorgeht? Wie formen Architektur, Infrastruktur und Landschaft die Gestalt von Wegen (gebauten und gedachten) – und umgekehrt? Welche Praktiken und Strategien manifestieren sich hier mit welchen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und ästhetischen Effekten?
Forschungsprojekt »unterwegs«
c/o
Institut für Empirische Kulturwissenschaft
Universität Hamburg
Edmund-Siemers-Allee 1 (West)
20146 Hamburg
Debora Oswald, Klassische Archäologin
Wo bin ich? Weg- und Landmarken entlang der Via Salaria
Linda Schiel, Kunsthistorikerin
Strecke – Gestalt – Ritual. Weg in Tadao Andos Chichu Art Museum
Nadine Wagener-Böck, Kulturanthropologin/Europäische Ethnologin
Routen von Wert. Transportwege in der christlich-humanitären Hilfe
Debora Oswald, Linda Schiel, Nadine Wagener-Böck (Hg.):
Wege
Gestalt – Funktion – Materialität
Dietrich Reimer Verlag 2018
Schriftenreihe der Isa Lohmann-Siems Stiftung, Band 11
215 S. m. 4 Farb- und 57 s-w-Abb., 17 x 24 cm, gebunden