Um das Jahr 1477 entstehen in der schwäbischen »Werkstatt des Ludwig Henfflin« in nur wenigen Jahren neun reich bebilderte Handschriften wohl im Auftrag Margarethes von Savoyen, der Gemahlin Graf Ulrichs V. von Württemberg. Mit Ausnahme einer dreibändigen deutschen Bibel überliefern die Handschriften ausschließlich spätmittelalterliche Unterhaltungsliteratur in deutscher Sprache. Vorrangig handelt es sich dabei um jüngst entstandene bzw. neu bearbeitete Literatur. Obwohl der Buchdruck zur Verfügung steht (der Neffe Margarethes, Eberhard im Barte, lässt um 1480 das »Buch der Beispiele der alten Weisen« bei Konrad Fyner in Urach drucken) und teilweise gedruckte Ausgaben der Werke schon vorliegen (die dreibändige Henfflin-Bibel ist eine Druckabschrift der Mentelin-Bibel, der »Ackermann von Böhmen« wurde bereits um 1463 bei Albrecht Pfister in Bamberg gedruckt) wählt Margarethe von Savoyen offenbar bewusst das ältere Medium der Bilderhandschrift für den Transport der sie interessierenden Stoffe.
Das Forschungsprojekt fragt nach Entstehungsbedingungen und Funktionsanspruch der illustrierten Handschriften aus der Werkstatt des Ludwig Henfflin in einer Zeit, in der Handschrift und Buchdruck nebeneinander existieren und sich wechselseitig beeinflussen. Was verraten die Henfflin-Handschriften über den Prozess ihrer Herstellung und die Rolle, die ihre Auftraggeberin Margarethe von Savoyen für die Werkstatt spielte? Welcher (gesellschaftliche) Anspruch spiegelt sich in Literaturauswahl und Ausstattungsniveau der Handschriften? Welchen Stellenwert nimmt dabei die Illustration ein? Existieren für die jeweiligen Stoffe feste Bildmuster bzw. Bildtraditionen und in welches Verhältnis treten die Illustrationen der Henfflin-Werkstatt hierzu? Fügen sich die Illustrationen zu Bildprogrammen zusammen, die den Text interpretieren oder kommentieren und so eigene Deutungsangebote eröffnen? Welches Verständnis von Inhalt und Funktion der Handschriften spiegelt sich hierin? Und mag dieses Verständnis für die Wahl des Mediums Bilderhandschrift ausschlaggebend gewesen sein?
Empirisch vorgehende Kulturwissenschaften arbeiten, sobald sie einen Zugang zum Menschen suchen, bevorzugt mit der Sprache. Das mündliche Interview bildet dabei die geläufigste Gesprächsform, mit der ein solches Wissen über den Anderen erworben wird. Es bietet sowohl dem Forscher Raum für gezieltes Fragen als auch dem Anderen Raum für ein selbst gestaltetes Sprechen. Allerdings ist die ›Welt‹ der Wissenschaft überwiegend eine schriftlicher Kommunikationsformen. Soll das gesprochene Wort des Anderen Eingang in wissenschaftliche Publikationen finden, muss es durch Fragen hervorgelockt, durch ein technisches Speichermedium aufgezeichnet und dann meist noch verschriftet werden. Der Prozess der wissenschaftlichen Datenerzeugung vollzieht sich an der Schnittstelle von Mündlichkeit und Schriftlichkeit.
In diesem Zusammenhang stellen sich auf unterschiedlichen Ebenen Fragen zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit:
Nach dem Tod des Philosophen und Theologen Ramon Llull 1316 fertigte sein Schüler Thomas le Myésier, Gelehrter und Leibarzt der Königinmutter am französischen Hof, Zusammenfassungen der ars seines Lehrers an. Autographen zweier dieser Werke sind überliefert: neben einer langen Schrift, dem so genannten Electorium, das er für die Magister der Pariser Universität schrieb, schuf er ein kürzeres Werk, das so genannte Breviculum (Karlsruhe, Badische Landesbibl., Cod. St. Peter perg. 92), das er Johanna von Burgund-Artois, der Frau König Philipps V. von Frankreich, zum Geschenk machte. Den Erläuterungen zur Philosophie Llulls vorgestellt ist im Breviculum ein zwölfteiliger Miniaturenzyklus. Bestehend aus Bildern, die biographisch-narrativer, schematischer und allegorischer Art sind, und Texten, die die Form direkter Rede der dargestellten Personen, Beschriftung von Diagrammen und Allegorien, kontextualisierender Erzählung und erläuterndem Kommentar annehmen, bilden sie einen intellektuell wie künstlerisch anspruchsvollen Text-Bild-Komplex.
Obwohl einerseits die Textelemente und andererseits Stil und Bildthemen der Miniaturen, insbesondere Viten- und Kreuzzugsthematik, jeweils für sich in der Forschung bereits Beachtung gefunden haben, steht eine Untersuchung des Zusammenspiels der zahlreichen verschiedenen Text- und Bildtypen, das den Einführungszyklus auszeichnet, im Hinblick auf den ihm folgenden Text noch aus. Ausgehend von einer solchen Untersuchung soll die Medialität von Wissensvermittlung als eine wichtige Thematik des Zyklus’ selbst herausgearbeitet werden und nach Bezügen zur Didaktik Ramon Llulls und den epistemologischen Grundlagen seiner ars gefragt werden.