Die beharrliche Präsenz christlicher Symbolik in zeitgenössischer Kunst und Populärkultur mag verwundern, schienen sich doch Kunst und Religion in der Moderne immer weiter von einander zu entfernen. Es hat jedoch den Anschein, als gewänne ein latentes Reservoir von Zeichen vor dem Hintergrund gegenwärtiger Debatten um Renaissancen des Religiösen neue Aktualität. Das Forschungsprojekt befragt daher die Verwendung christlicher Themen, Motive und Handlungen in der bildenden Kunst ebenso wie in Mode, Musik, Film oder Werbung: Wie wird ehemals religiöse Symbolik in den neuen Zusammenhängen nutzbar gemacht? Ist ihre Botschaft für Betrachter ohne kirchliche Sozialisierung lesbar? Schlagen sich derzeitige Neubewertungen des Religiösen in der visuellen Kultur nieder? Untersucht werden soll, inwieweit die adaptierten Zeichen und Praktiken einer Sakralisierung des Profanen dienen.
In der zeitgenössischen Kunst gehört biologisches Material bereits zu einem etablierten Materialrepertoire, das in den letzten Dekaden um weitere Substanzen ständig erweitert worden ist: Flüchtiges und Flüssiges, Blut, Sperma und DNA-Material werden für Skulpturen, Installationen und Porträts verwendet, wie etwa in Arbeiten von Marc Quinn oder Eduardo Kac. Die Ateliers dieser Künstler ähneln dabei Versuchslaboratorien, in denen die Fragen des Lebens mithilfe naturwissenschaftlicher Innovationen, wie die der Biotechnologie, in eine ästhetische Formensprache übersetzt werden. Damit halten diese Arbeiten nicht nur durch ihr Material, sondern auf unterschiedlichen Ebenen Metaphern der Metamorphose, der Transformation und der Grenzsprengung bereit – Themen, die an ethische und theologische Grenzen stoßen.
Nur wenige dieser Arbeiten scheinen dabei auf eine religiös verwurzelte Formensprache verzichten zu können. Doch geht es bei diesen (quasi-) sakralen Erscheinungen weniger um die Suche nach einer Neudarstellung und Neuinterpretation christlicher Motive, sondern vielmehr um den Versuch einer regelrechten Fortschreibung christlicher Glaubensinhalte. Dabei kursieren die Themen besonders häufig um existenzielle Fragen wie um den Tod, der kulturell einerseits einer neuen Sichtbarkeit aber auch einem Zustand der »Entkörperlichung« unterliegt. Der Tod als ein unumstößliches Faktum war bisher ikonografisch mit einem fest verankerten memento mori abgedeckt. Doch lebensverlängernde Elixiere oder sogar lebenskonservierende Maßnahmen wie die Kryonic (das Tieffrieren von Organismen in flüssigem Stickstoff, um sie in vager Zukunft wiederzuleben) scheinen jetzt neue Auslegungsangebote zu bieten, wie in der zeitgenössischen Kunst thematisiert.
Wird aber in diesen Arbeiten lediglich mit dem Sakralen kokettiert oder offerieren sie tatsächlich neue Ansichtsweisen, die auch in einem kirchlichen Kontext debattiert werden könnten? Handelt es sich um reine Reflexionen selbstbezogener Individualisierungsprozesse und abstruser Zukunftsfantasien, die letztendlich unbedeutend für die Diskussion um Glaubensfragen sind? Ist es wiederum nur dem Kunstwerk möglich, Unmoralisches und Unvorstellbares zu thematisieren, auf einer kulturrelevanten Ebene technologische Entwicklung einer zunehmend beherrschbaren Welt vorauszuahnen? Oder haben Modernisierungstechnologien bereits einen höheren Status erlangt und die Wissenschaft ist gar in jüngster Vergangenheit als ein neues Sinn- und Glaubensangebot in Erscheinung getreten?
Ein junger evangelische Pfarrer des 19. Jahrhunderts befand sich als »Vermittler des Religiösen« in einer eigentümlichen Stellung zwischen einem kontrovers diskutierten theologisch-kirchlichen Amtsverständnis, der (sich noch ausbildenden) eigenen Konzeption als Christ, Geistlicher und Bürger sowie den Ansprüchen und Eigentümlichkeiten der Gemeinde, in der er diente. In zahlreichen Lebenserinnerungen stellen Pfarrer diese Zeit der ersten Berufsjahre, die meist zugleich Jahre der Familiengründung waren, als einen wesentlichen Lebensabschnitt heraus und behandeln ihn entsprechend ausführlich. So bilden autobiographische Texte meine Quellengrundlage für die Fragen nach dem »geistlichen« Selbstverständnis junger Pfarrer zwischen Studium und ersten Amtsjahren, nach dem Spannungsfeld zwischen diesem Selbstverständnis und den Erfahrungen in und mit der Gemeinde sowie schließlich nach der gelebten (und vor-gelebten) Religiosität im Alltag. Der Sitz des Religiösen im Leben und Alltag einfacher Menschen – in einer von vielfältigen politischen, gesellschaftlichen und religiösen Umbrüchen, aber auch dauerhafteren Traditionselementen geprägten Zeit – soll so an norddeutschen Beispielen herausgearbeitet werden.