Isa Lohmann-Siems Stiftung

Nächstes Projekt

Projekt 2025/26

Dissonanzen - TEILPROJEKTE -

Musik als Zeitzeugin dissonanter Kolonialrealitäten in Kanada im 17. Jahrhundert

Laura-Maxine Kalbow

Mit der frühen Kolonialisierung Nordamerikas durch das französische Empire im 17. Jahrhundert gewann die Musik als politisches Machtinstrument in Übersee an Bedeutung. In den neugegründeten Ursulinenklöstern in Québec und Montréal sowie in den Jesuiten-Missionen sollte insbesondere sakrale Musik des französischen Repertoires mit dem Ziel der Missionierung und Christianisierung der indigenen Bevölkerung als kulturelles Mittel eingesetzt werden. Zu diesem Zwecke sind in aufwendigem Maße Manuskripte vermutlich bereits in Frankreich kopiert, verschifft und in Québec weiterverbreitet worden. Dabei ergeben sich in der »paradoxen Kolonialgeschichte« Kanadas (Dubois) zwei wesentliche musikhistorische Abgrenzungen: Während das Ziel der Bekehrung und der kulturellen Hegemonie mittels musikalischer Erziehung in den Ursulinenklöstern nicht nur auf immensen Widerstand stieß, sondern auch zu gewaltsamen Konflikten mit der indigenen Bevölkerung führte, ist der Versuch einer Implementierung von europäischer Musikkultur bei den Jesuiten-Missionen zumindest in Teilen von einem kulturellen Transfer zwischen Kolonialisatoren und indigener Bevölkerung geprägt gewesen. Die überlieferten Manuskriptkonvolute – als schriftliche Zeitzeugnisse dieser Paradoxien – geben somit Auskunft über die divergente Rolle der Musik im kolonialen Kontext.

Das Projekt wird sich nicht nur mit der Rolle der Musik als Zeitzeugin und Akteurin dissonanter Kolonialrealitäten befassen, sondern ebenso mit der Organisation von musikbezogenem Handeln in einem konfliktreichen Spannungsfeld, zum einen als Potenzial, zum anderen als Gefahr. Müssen Spannung und Auflösung dabei zwingend nacheinander erfolgen oder existieren sie insbesondere im Kontext einer paradoxen Kolonialgeschichte nicht auch nebeneinander? Während auf der einen Seite die Etablierung französischer Musikpraxis Konflikte zuspitzte, bildete die kompositorische Anpassung ausgewählter Werke an die Muttersprache der indigenen Bevölkerung mittels Auflösung dissonanter Intervallstrukturen einen Ansatz für kulturellen Austausch. Muss Musik als politisches Machtinstrument also zwingend immer als Ausdruck kolonialer Gewalt verstanden werden oder können sich durch die transkulturelle Dissonanz auch neue Formen musikalischer Potenziale ergeben?

 

Zwischen Dissonanz und Harmonie?
Der Tod als musikalischer Akteur im Bild

Sonja Kerkloh

Musizierende Paare sind ein vertrautes Motiv in der frühneuzeitlichen Bildtradition. Die akustische Performance wird zum Ausdruck der Emotionen, wobei sich die Harmonie auf musikalischer wie emotionaler Ebene entfaltet. Umso irritierender wirkt es, wenn der Tod in der Gestalt eines musizierenden Transis in diese Szene eintritt. Sein Eindringen erzeugt eine Störung und überschreitet eine ästhetische Grenze, indem die musikalische Intervention als klanglich erfahrbar imaginiert wird. Die angedeutete Narration verstärkt diese affektive Wirkung. Gleichzeitig wird die Musik, verkörpert durch den Tod, zur Metapher für die Vergänglichkeit. Die gespielte Musik ist vergänglich und immateriell, das Bild hingegen ist ein materielles Artefakt.

Welche akustischen Sinneserfahrungen können Betrachter:innen durch das Bildmedium imaginieren, wenn eine Verschiebung von einer rein visuellen Rezeption zu einer akustischen Perzeption erfolgt? Fügt sich das Spielen des Todes harmonisch ein, wodurch er zunächst vom Paar unbemerkt bleiben kann, oder manifestiert sich sein Dazwischentreten nicht nur bildlich, sondern erzeugt es auch einen akustischen Missklang? Welche Vorstellungen von Liebe und Tod werden geweckt und wie werden sie durch Bild und Musik transportiert? Anhand ausgewählter Druckgraphiken und Zeichnungen der Frühen Neuzeit analysiert das Projekt, wie die Dissonanz visuell codiert und akustisch evoziert wird.

König David mit Medusenhaupt?
Zur mittelalterlichen Verwendung antiker Spolien und ihrer Rezeption

Lisa Thumm

Während der lateinische Begriff »spolia« ursprünglich während einer Schlacht geraubte Beutestücke bezeichnete, umfasst der Begriff der Spolie heute Artefakte, die aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst wiederverwendet wurden. Materialknappheit und bloße Verfügbarkeit stellten ein Kriterium dar, die Objekte sekundär zu nutzen, vieles spricht jedoch dafür, dass es vor allem inhaltliche, etwa politische oder religiöse, Motive waren, die dem Einsatz von Spolien zugrunde lagen.

Das Projekt möchte sich mit dem Phänomen der mittelalterlichen Spolienverwendung auseinandersetzen, indem die Produktions- und Rezeptionsvoraussetzungen hinterfragt werden. Vor dem Hintergrund des Tagungsthemas soll herausgearbeitet werden, inwiefern gerade Spolien prädestiniert dafür sind, dissonante Bildeindrücke hervorzurufen. Wie können Spannungen in der Bildrezeption absichtsvoll angelegt und produktiv genutzt werden? Führt der Einsatz von Spolien unausweichlich zum Eindruck einer dissonanten Collage oder können sich Spolien ebenso, vielleicht sogar unbemerkt, harmonisch in den Gesamteindruck einfügen? Außerdem wird danach zu fragen sein, wie sich die Rezeption im Laufe der Zeit wandelt und welche Deutungskategorien etwa bei der heutigen Betrachtung der Werke aufgerufen werden.