Isa Lohmann-Siems Stiftung

Vergangene Projekte

Projekt 2005/06

Inszenierungen der Küste - TEILPROJEKTE -

»Das Bild der Küste in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts«

Susan Müller-Wusterwitz

Die Kunsthistorikerin Susan Müller-Wusterwitz verfolgt die Frage nach Inszenierungen der Küste an Beispielen der holländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts.

Holländische Seestücke geben meist nicht nur Meer und Schiffe wieder, sondern auch etwas von dem Land, das an das Wasser grenzt. Nimmt man die große Gruppe der holländischen Strandbilder hinzu, in denen der Blick vom Land auf das Meer gerichtet ist, so wird ein Themenkomplex erkennbar, dessen innerer Zusammenhang bislang weitgehend unbeachtet geblieben ist: Von topographischen Ansprüchen weitgehend freie Repräsentationen der Küste, in die gesellschaftliche, kulturelle und religiöse Muster der jungen holländischen Republik eingewoben sind. Untersucht werden zunächst Darstellungen der holländischen Küste aus den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts, deren eng begrenzter Motivschatz und konventionelle Kompositionslösungen Aufschluss über das Selbstbild der Vereinigten Provinzen nach dem Abfall von Spanien geben.

Die von holländischen Malern entwickelten bildnerischen Mittel, mit denen die heimische Küste als Ort der kollektiven nationalen Identität präsentiert wurde, bestimmten zugleich das Bild von der Fremde, das dezidiert anders aussehen musste. Zu einer wichtigen Chiffre der Fremde wurde der aus dem Wasser ragende Fels, den es an der holländischen Küste nicht gibt. Felsküsten, die in den Gemälden meist Schauplätze eines dramatischen Kampfes von Schiffen und ihren Besatzungen mit den Naturkräften sind, bieten sich für verschiedene allegorische Lesarten an. Darüber hinaus lassen sich diese Darstellungen aber auch als Projektionen der Fremde verstehen, welche die Vorstellungen und Erwartungen des heimischen Publikums widerspiegeln. Für die Ausformung dieser Bildsprache sind zeitgenössische holländische Reisebeschreibungen und die zugehörigen Illustrationen aufschlussreich, an die das Publikum einen vergleichbaren Anspruch stellte. Der Umgang mit der Fremde blieb jedoch nicht auf die Entfaltung eines Gegenbildes zur eigenen Küste beschränkt. Im Laufe des 17. Jahrhunderts kam es zur visuellen Aneignung der Fremde, indem die in der holländischen Landschaftsmalerei entwickelten Bildkonventionen auf das Motiv der ›fremden‹ Küste übertragen wurden.

»Das Meer und der Tod – Über die kulturelle Kodierung der norddeutschen Küstenlandschaft«

Norbert Fischer

Im Mittelpunkt der Studie des Sozialhistorikers Norbert Fischer stehen Materialisierungen historischer Erfahrungen. Er erforscht unter dem Arbeitstitel »Das Meer und der Tod – Über Gedächtnislandschaften an der Nordsee«, auf welche Weise sich die Erfahrung der gefahrvollen, todbringenden Nordsee in den Küsten- und Inselgesellschaften vollzog und in der Landschaft niederschlug. Dies wird vor allem auf drei Ebenen untersucht: 1.) Maritime Memorials und Erinnerungstafeln, 2.) Grabsteine, 3.) Namenlosen-Friedhöfe. Diese Objekte tradieren die Erfahrungsmuster partikularer Küsten- und Inselgesellschaften, deren Entwicklung auf der Auseinandersetzung mit dem Meer und seinen Gefahren basiert. Dabei bilden die genannten Phänomene zugleich Indizien für den im 19. Jahrhundert einsetzenden Mentalitätswandel und der damit verbundenen »Mythologisierung« des Todes im und am Meer.

Bemerkenswerterweise geschah dies in jenen Epochen, in denen einerseits das tatsächliche Gefahrenpotential der Nordsee entscheidend verringert werden konnte (Ausbau des Seenotrettungs- und Seezeichenwesen, Verbesserung der Deiche u. ä.), andererseits die Küsten- und Inselgesellschaften raschen Veränderungen unterlagen (Seebäderwesen). Die Anlage der Namenlosen-Friedhöfe für unbekannte Strandleichen beispielsweise ist Zeichen eines gewandelten Umgangs mit den Toten – ein Wandel, der sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts vollzog, als die zuvor mehr oder weniger eigenständigen Küsten- und Inselgesellschaften von städtisch-bürgerlichen Leitbildern beeinflusst und überformt wurden. Der Rückgriff auf die historische Erfahrung der todbringenden See, den die Anlage der Namenlosen-Friedhöfe bildete, diente dem Zweck, auf symbolischer Ebene das besondere »Regionalbewusstsein« und die im Zeitalter der Moderne fragil gewordene regionale Identität der Küstengesellschaften zu stabilisieren. Als regelrechtes Identitätsmarketing können die an die »Auf See Gebliebenen« erinnernden maritimen Memorials interpretiert werden. In der Epoche des Massentourismus – bisweilen erst in jüngster Zeit – errichtet und die Insignien bürgerlicher Trauerkultur aufgreifend, wird für ein fremdes Publikum der Mythos vom todbringenden Meer inszeniert. Namenlosen-Friedhöfe wie maritime Memorials und Grabsteine bilden damit grundlegende Elemente der kulturellen Kodierung der Küstenlandschaft.

»Maritime Denkmals(er)findung. Ein Küstenort inszeniert sich«

Brigitta Schmidt-Lauber

Die Volkskundlerin Brigitta Schmidt-Lauber untersucht gegenwärtig ablaufende Prozesse der Inszenierung der Küste. Das Thema wird in einer mikroanalytischen Studie am Beispiel des Nordsee-Küstenkurortes Carolinensiel verfolgt.
Im Mittelpunkt der empirischen Untersuchung stehen die lokalen Aktivitäten für ein Ortsjubiläum: Carolinensiel feierte im Jahr 2005 sein 275-jähriges Bestehen.

Zu diesem Zweck haben Honoratioren ein Küstendenkmal initiiert, mit dem sich Carolinensiel nach innen wie außen eine Identifikationsfigur und ein Wahrzeichen schafft: Eine Frauenfigur, die weder – wie sonst bei Küstenskulpturen üblich – eine Fischerin noch eine zurückbleibende, wartende Frau darstellt, sondern eine Person, die die Bedeutung tatkräftiger Frauen im wohlhabenden Küstenort des 19. Jahrhundert repräsentieren soll.

Auf der Basis teilnehmender Beobachtung sowie anhand qualitativer Interviews mit Repräsentanten des Ortes, Entscheidungsträgern aus der Denkmalkommission, Künstlern, Einheimischen, Zugereisten sowie Besuchern werden die diskursive Aushandlung über das Aussehen der Skulptur und ihre Bedeutung sowie die performative Inszenierung der Jubiläumsfeier erforscht. Die Diskussionen zur Erschaffung der Skulptur zeigen das fortwährende Bemühen Carolinensiels um lokale Distinktion als »einzigartiger« Sielhafen. Dabei spielen wirtschaftliche Argumente des sich wandelnden Fremdenverkehrs an der Küste sowie persönliche Motive der beteiligten Akteure, aber auch Bemühungen um die lokale und regionale Identität, die gezielt inszeniert und geschaffen wird, zusammen. Das in der »Caroline« genannten Skulptur nach außen sichtbare und vorgeführte »Bild der Nordsee« soll damit in seinem Entstehungsprozess als Ergebnis von Entscheidungen und sozialen Aushandlungen erkennbar werden.

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