Isa Lohmann-Siems Stiftung

Vergangene Projekte

Projekt 2013/14

Verrückt, Verrutscht, Versetzt - TEILPROJEKTE -

Verrutschte Gewänder, verzerrte Gesichter. Die Darstellung der Schergen in Passionsbildern

Daria Dittmeyer

In mittelalterlichen Passionsbildern erfüllt die Darstellung verrutschter Gewänder und verzerrter Gesichtszüge der Peiniger Jesu wichtige wirkungsästhetische Funktionen. Der innerbildlichen Logik nach liegen die Ursachen des Verrutscht-Seins der Kleidung in aggressiven bzw. unkontrollierten Bewegungen, in Nachlässigkeit oder Freizügigkeit des Trägers. Die Mimik kann als bewusst zur Grimasse hin oder als unbewusst verzogen gedacht sein. In jedem Fall soll durch die Darstellung letztlich – basierend auf einem stark vereinfachten Verständnis des ›Körpers als Spiegel der Seele‹ – der negative Charakter der Ungläubigen visualisiert werden.

Das Motiv des Verschiebens kann im Bild als Prozess oder als Ergebnis dargestellt sein. Damit der Betrachter erkennt, dass einem bildlich fixierten Zustand ein Prozess des Verschiebens vorangegangen sein muss, darf die Art der Darstellung bestimmte Erwartungen nicht erfüllen: Etwas befindet sich nicht mehr dort, wo es anzunehmen war. Verschiebungen im Bild sind insofern interessant, als durch sie Bedeutungen konstituiert oder Bildaussagen verstärkt werden, sie auf einen stattgefundenen Wandel hinweisen oder ihn dokumentieren, oder sie andere bildästhetische Funktionen besitzen.

Am konkreten Beispiel der Passionsdarstellungen fragt das Forschungsprojekt danach, wann und wo verrutschte Gewänder und verzerrte Gesichter mit wirkungsästhetischer Funktion erstmals auftreten und welche Entwicklung sie fortan nehmen. Was sind die spezifischen Bedeutungen der einzelnen Motive und wie entfalten sie ihre jeweilige Wirkung auf den Betrachter?

Versetzte Heilige. Die Beweiskraft von Architektur und ihren Bildwerken im Rahmen mittelalterlicher Reliquienverehrung am Beispiel des Jakobsweges

Jeannet Hommers

Die Reliquienverehrung war immer schon das Produkt eines Verschiebungsprozesses: So sind Reliquien ihrer lateinischen Wortherkunft nach »Zurückgebliebenes«, also irdische leibliche Überreste eines Heiligen, dessen Seele sich bereits an einem anderen Ort befindet. Auch die Überführung von Reliquien, die Translation, bildete – bis auf wenige Ausnahmen – gewissermaßen die notwendige Grundvoraussetzung, um Reliquien an anderen Orten verehren zu können.

Im Zentrum des Teilprojektes steht die Reliquientranslation, die entweder von einer Kirche zur anderen erfolgen konnte oder aber auch innerhalb eines Kirchenbaus, wenn etwa die Reliquien von der Krypta in den Altarraum transferiert wurden. Ausgehend von den romanischen Kirchen entlang des Jakobsweges, wird die Frage untersucht, welchen Beitrag die Architektur und ihre Bildwerke leisten, um die Reliquien an dem jeweiligen (neuen) Ort zu legitimieren, zu etablieren und auch auf lange Zeit zu bestätigen. Weniger als die rituell-liturgischen Vorgänge, stehen damit vor allem die Strategien der Auftraggeber und die (mögliche) Neuinszenierung der versetzten Reliquien im Vordergrund. Welche visuelle Beweiskraft kann der Architektur und ihren Bildwerken zugesprochen werden? Wie wird die Präsenz des Heiligen vermittelt und die Authentizität des Ortes bestärkt? Welche Gründe sind es, dass Heilige auch innerhalb des Kirchenbaus den Ort wechseln und spiegelt sich dies auch in einer Neuinszenierung der Reliquien wider?

[ab-, ein-, über-] schreiten Zur Verschiebung von Parade-Routen und -Räumen

Sonja Windmüller

Paraden sind als transitorische Erscheinungsformen in ihrem raumgreifenden Gestus immer auch Phänomene der Verschiebung: Körper, aber auch mitgeführte Dinge, verändern ihre Positionen und Konstellationen. In der kollektiven physischen Bewegung werden vorgefundene Architekturen und Möblierungen des öffentlichen Raumes und mit ihnen Funktions- und Bedeutungsstrukturen bestätigt oder (temporär) korrigiert. Entsprechend spielt der Paradenverlauf, die zu gehende oder fahrende Route, bei der Sinnproduktion eine entscheidende Rolle. Hier lassen sich immer wieder Aushandlungskämpfe, Verbote und Anweisungen, aber auch Eroberungen, Verdrängungen und nicht zuletzt spontane Richtungswechsel beobachten, die zu Verschiebungen der Wege und darüber nicht zuletzt auch gesellschaftlicher Zuschreibungen, Macht- und Wertekonstellationen führen.

Das ethnographisch angelegte Teilprojekt nähert sich exemplarisch ausgewählten Paraden, um die skizzierten Prozesse der Verschiebung (als Effekte, aber auch als Strategie) nachzuvollziehen.