Fälle von Hochstapelei rücken in unterschiedlichen Formen immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Die Enttarnung »falscher« Ärzte, Piloten oder Finanzberater löst Diskussionen über Professionalisierung und Qualifikationsbelege aus; die Aufdeckung von Plagiaten und gefälschten Studien stößt Auseinandersetzungen über die Sicherung von wissenschaftlichen Standards an. Doch gleichzeitig stellen aktuelle populärwissenschaftliche Ratgeber, Sachbücher und Zeitschriftenbeiträge fest, dass Akteurinnen in der modernen Wirtschafts- und Sozialwelt des 21. Jahrhunderts zum bluffen, blenden und hochstapeln geradezu genötigt werden.
Das Teilprojekt beschäftigt sich aus volkskundlich-kulturanthropologischer Perspektive mit der Hochstapelei als kultureller Praxis und Phänomen, für die Prozesse und Praktiken des Ver- und Enthüllens, des sichtbar- und unsichtbar Machens – sowohl auf materieller wie auch auf sprachlich-immaterieller Ebene ‑ von zentraler Bedeutung sind. Anhand von Fallstudien aus dem 20. und 21. Jahrhundert wird Hochstapelei zum einen als konkretes Arrangement von Akteuren, Praktiken und Prozessen analysiert. Zum anderen erforscht das Projekt den gesellschaftlichen Diskurs über die Praxis des Täuschens, der Aufschlüsse über soziale Normen und deren Grauzonen, aber auch über kulturelle Konstruktionen wie Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu liefern verspricht. Besonderes Interesse gilt dabei Fragen nach dem Verhältnis von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in der Hochstapelei, nach den eingesetzten Strategien zur Aufmerksamkeitssteuerung, und nach den daraus resultierenden Effekten. Nicht zuletzt wird aber auch die gegenwärtige Inanspruchnahme und Interpretation des Begriffs ›Hochstapeln‹ als Praxis der Alltagsbewältigung kritisch hinterfragt.
In Unboxing-Videos kann man Menschen dabei beobachten, wie sie Produkte auspacken, betrachten und ihre ersten Eindrücke zu ihnen formulieren. Die Anzahl solcher Clips, die auf Youtube oder anderen Videoplattformen veröffentlicht wird, steigt von Jahr zu Jahr. Auch die Nachfrage, die sich in Klick- und Abonnentenzahlen messen lässt, ist beachtlich und trägt so zu ihrer weiteren Popularisierung bei.
Die Bandbreite des Genres reicht von professionellen Online-Shops, die die jeweils neuesten elektronischen Geräte enthüllen, welche man im Anschluss gleich bei ihnen bestellen kann, bis hin zu humoristischen Formaten, in denen die Konventionen des Unboxings parodiert werden. Statt neuer, exklusiver oder sonst wie interessanter Waren werden hier beispielsweise alltägliche Dinge wie Kugelschreiber oder Feinripp-Unterhemden ausgepackt und begutachtet.
Die meisten Unboxing-Clips lassen sich irgendwo zwischen kritischer Konsumkultur und nahezu zeremoniell wirkender Inszenierung des Objekts verorten. So versprechen sie einerseits einen klaren und ehrlichen Blick auf das Produkt, unverstellt von den Tricks und Täuschungsmanövern der Werbung und sollen so potentielle Konsumenten bei ihrer Kaufentscheidung unterstützen. Andererseits scheinen sie eine Art indirekter Freude am Produkt zu befriedigen, die der Betrachter genießen kann, ohne Geld dafür ausgeben zu müssen.
Ein Aspekt, den fast alle Unboxing-Videos miteinander gemein haben, ist ein Streben nach Authentizität. Nicht nur die ausgepackten Waren, sondern auch die Menschen, die mit diesen Waren hantieren, sollen authentisch wirken. Mit welchen Mitteln dieser Eindruck erzeugt wird, ist dabei von Video zu Video unterschiedlich.
Das Ziel dieses Beitrages ist es, solche Authentifizierungsstrategien zu untersuchen und ihre Funktionsweisen und Bedeutung für das Genre Unboxing-Video zu erörtern. Dies wird anhand einer vergleichenden Betrachtung von drei unterschiedlichen Beispielen geschehen. Neben der Frage nach den Mitteln, mit denen der Eindruck von Authentizität geschaffen und vermittelt wird, soll auch analysiert werden, in welchem Verhältnis Produkt, Unboxer und Publikum zu einander stehen und welche Rolle somit dem Betrachter vor dem Computerbildschirm beim Akt dieser in Szene gesetzten Enthüllung von Waren zukommt.
Die legendarische und ikonografische Überlieferung weiblicher Heiliger ist durch eine ›Hüllenrhetorik‹ geprägt. Maria als Topos des göttlichen Gefäßes, Barbara, die in einem Turm verborgen wird, Elisabeth, die den Kleiderreichtum des Adelsstandes fortgibt, um die Armen ein- und sich selbst als Armutsheilige umzukleiden. Daneben gibt es zahlreiche Beispiele mystisch transformierter Heiliger, bei denen die Ambivalenz des Körpers als Hülle und Offenbarungsmedium offen zu Tage tritt wie Maria von Ägypten, Wilgefortis und Katharina von Siena.
Zu diesen weiblichen Heiligen gehört auch Maria Magdalena. Als Sünderin einerseits mit besonders kostbaren Stoffen assoziiert, erscheint sie als bekehrte Büßerin in der Wüste später unbekleidet und nur von einer ›Haarhülle‹ bedeckt. In dieser Weise wird die Heilige Magdalena u.a. im Retabel der Lübecker Schneidergesellschaft gezeigt, einem zentralen Ausgangsobjekt des Projektes (St. Annenmuseum Lübeck, 1519). Das Haar umgibt Magdalena wie eine Membran, ist eins mit dem Körper, macht ihn sicht- und unsichtbar, bekleidet ihn und ist zugleich untrügliches Zeichen seiner Nacktheit.
Solche arbiträren Verhüllungen des Heiligenkörpers evozieren Fragen zur Bild- und Hüllenrhetorik sowie deren Verquickung. Dabei soll unter anderem das mediale Spannungsfeld zwischen Heiligendarstellung und der Materialität der Bildwerke im Fokus stehen. Für das Lübecker Beispiel wäre hier die Form des Flügelretabels, ebenfalls ein Bildkörper mit Verhüllungseffekten, zu beachten. Im Auffalten der Schichten des Retabels, also im Vordringen und Enthüllen des Kerns, wird hier Magdalena, die mystisch Verhüllte, entblättert. Solche und ähnliche Probleme, die sich zwischen der Darstellung und der Oberfläche des Heiligenleibes entwickeln, will das Projekt in den Blick nehmen.