PROJEKT 2010/11 – Mediale Wechselwirkungen – TEILPROJEKTE

Verdauerung, Verschriftlichung, Verfestigung und Verselbstständigung.
Mündliches Sprechen im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit

Christine Oldörp

Empirisch vorgehende Kulturwissenschaften arbeiten, sobald sie einen Zugang zum Menschen suchen, bevorzugt mit der Sprache. Das mündliche Interview bildet dabei die geläufigste Gesprächsform, mit der ein solches Wissen über den Anderen erworben wird. Es bietet sowohl dem Forscher Raum für gezieltes Fragen als auch dem Anderen Raum für ein selbst gestaltetes Sprechen. Allerdings ist die ›Welt‹ der Wissenschaft überwiegend eine schriftlicher Kommunikationsformen. Soll das gesprochene Wort des Anderen Eingang in wissenschaftliche Publikationen finden, muss es durch Fragen hervorgelockt, durch ein technisches Speichermedium aufgezeichnet und dann meist noch verschriftet werden. Der Prozess der wissenschaftlichen Datenerzeugung vollzieht sich an der Schnittstelle von Mündlichkeit und Schriftlichkeit.

In diesem Zusammenhang stellen sich auf unterschiedlichen Ebenen Fragen zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit:

  1. Die tontechnische Aufzeichnung mündlichen Sprechens kombiniert das flüchtige, anwesenheitsgebundene Sprechen mit einem technischen Speichermedium. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang besonders, ob die Gesprächsteilnehmer ihr Sprechhandeln auf diese Fixierung hin ausrichten und inwiefern technisch fixierte Mündlichkeit damit qualitativ transformierte Wahrnehmungs- wie Handlungsmodalitäten erzeugt.
  2. Die Verschriftung mündlichen Sprechens ist ein Medienwechsel vom Mündlichen zum Schriftlichen. Zu fragen ist hier, ob dieser aus der mündlichen Äußerung etwas anderes, nämlich in den Artikulationsbedingungen der Schrift Reinterpretiertes macht.
  3. Das mündliche Sprechen selbst ist im Interview der ad hoc-Produktion unterworfen. Doch, um eine Vergleichbarkeit der verschiedenen Interviews zu gewährleisten, muss der Interviewer über das Korpus hinweg ein Repertoire an vorformulierten Fragen in das jeweilige Hier und Jetzt des Einzelinterviews einbringen. Und die Interviewten müssen sich, um eigene übergreifende Redestrategien verfolgen zu können, ein Stück weit von der Anforderung der Gesprächsform Interview, auf Fragen augenblicklich antworten zu müssen, ablösen. Hat man es hier mit einer Durchdringung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu tun?