PROJEKT 2011/12

Schnittstellen | Die Gegenwart des Abwesenden

In einer technisierten Alltagswelt erscheint es nicht außergewöhnlich, dass vergangene oder flüchtige Ereignisse festgehalten werden und in unsere Gegenwart gelangen können. Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts stehen Objekte und Medien, die bei Prozessen der Rekonstruktion oder Repräsentation als »Schnittstellen« zwischen Heute und Gestern, zwischen Gegenwärtigem und Abwesendem fungieren: So wird in den einzelnen Teilprojekten untersucht, wie etwa Zeichnungen, Archivalien oder Musikinstrumente als Zugänge zu zeitlich, räumlich oder sozial entfernten Lebenswelten genutzt werden.

Der Begriff der »Schnittstelle« ist vor allem in technischen und naturwissenschaftlichen Kontexten verbreitet und bezeichnet eine nach bestimmten Regeln konzipierte Grenzfläche, beispielsweise ein »Interface« zwischen Mensch und Maschine. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive können auch andere Phänomene als Schnittstellen beschrieben werden, die Verschiedenartiges und Entferntes zusammenbringen, Distanzen und Brüche überbrücken und Verbindungen herstellen. Die scheinbar selbstverständliche Gegenwart des Abwesenden unterliegt kulturellen Konventionen und Regeln und bedarf komplexer Voraussetzungen: Das Wissen um Techniken der Aufzeichnung und Speicherung gehört ebenso dazu wie Kenntnisse über historische Techniken, die sowohl Informationen transportieren als auch Zugänge zu schwer fassbaren, für das unmittelbare Erleben konzipierten Atmosphären darstellen können.

Das Forschungsprojekt möchte in diesem Zusammenhang anhand konkreter Fallbeispiele unterschiedliche Akteure und ihre Praktiken der Vergegenwärtigung untersuchen sowie den damit verbundenen Wirkungen auf Wahrnehmen und Erleben nachgehen. Es behandelt zum Beispiel die materiellen und medialen Bedingungen und Eigenschaften von Aufzeichnungen visueller und akustischer Eindrücke, Abbildungen singulärer und ephemerer Ereignisse sowie Aufführungen musikalischer und theatraler Werke. Ein Thema sind Darstellungen aktuellen Geschehens mithilfe anachronistischer Techniken in journalistischen Kontexten. Ebenso wird die Rolle historischer und rekonstruierter Musikinstrumente als »Resonanzkörper« vergangener Klangwelten sowie die Archivierung von Klängen im Rundfunk und die Entstehung von »Klangchiffren« gesellschaftlicher Verhandlungen untersucht.

Diese Fragestellungen wurden auf einer interdisziplinären Tagung am 27. und 28. April 2012 um zusätzliche Perspektiven erweitert und mit einer Publikation abgeschlossen.

 

Teilprojekte

Aufzeichnungen. Künstlerische, anachronistische Verfahren in journalistischen Kontexten
Katharina Hoins

Resonanzkörper. Musikinstrumente als Werkzeuge der Vergegenwärtigung
Thomas Kühn

Klangchiffren. Archivalien und die Aushandlung kultureller Bedeutungen am Beispiel der Klangwelt der Automobilität
Johannes Müske